Viktor Pelewin / Buddhas kleiner Finger
Roman
aus dem Russischen von Andreas Tretner
EAN 9783630621593 / 432 Seiten
Sammlung Luchterhand (1999) / 10,00 Euro
Literatur vom Abhanden- und Ankommen im Nirgendwo
Viktor Pelewin gilt als einer der begnadetesten, zeitgenössischen Schriftsteller Russland und kann auf eine riesige Fangemeinde zählen. Trotzdem tritt er, obwohl doch wohnhaft in Moskau, in seiner Heimat nicht öffentlich auf. Das bedeutet keine Lesungen, keine Interviews, jedoch aber eine stete Präsenz im Internet. Kein Wunder, denn auch als das hier anempfohlene Buch Buddhas kleiner Finger für den russischen Booker Preis vorgeschlagen wurde, hat die Jury befunden, dass dieser Mann eine Gefahr für das kulturelle Gedächtnis Russlands darstellt. Pelewin ging damals natürlich leer aus. 2001 erhielt der brilliante Andreas Tretner für die deutsche Übersetzung den Paul-Celan-Preis - doch Auszeichnungen hin oder her, denn hat dieser Schriftsteller sie wirklich nötig?
Russland 1919 - Pjotr Pustota ist ein junger Dichter aus St. Petersburg. Nun muss noch gestattet sein, dass an dieser Stelle der Name Pustota zu übersetzen ist: auf Deutsch bedeutet er so viel wie 'Leere'. Der junge Mann also dichtet und wird in den aufgeregten Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche von den falschen Menschen missverstanden. Ihm bleibt nur die Flucht nach Moskau, wo er sich, gerade erst angekommen, in seinem alten Freund Grigori von Ernen empfindlich täuscht und diesen erwürgt. Ein Zwischenfall der ihm unfreiwillig zu einer neuen Identität und später zur Bekanntschaft mit Wassili Iwanowitsch Tschapajew verhilft.
Tschapajew mag der russiophilen Leserschaft möglicherweise aus dreierlei Gründen bekannt sein: Als legendärer Kommandeur der Roten Armee, als Hauptfigur sowohl im gleichnamigen russischen Filmklassiker, als auch in unzähligen Witzen. Viktor Pelewin erhebt diesen Mann jedoch auch zu einem mysteriösen, unnahbaren buddhistischen Meister. Ihn und Pustota werden Gespräche, in von Alkohol und Papirossa Qualm geschwängerter Luft, in höchste Höhen schwingen. Im Kampf zwischen Roten und Weißen bringt es der ehemalige Dichter und Querulant zum Politkommisar des Kommadeurs. Bis sich alles in Leere auflöst ...
Pelewins Kunstgriff ist die Auflösung einer zeitlichen Kontinuität. Als Leser finden wir uns plötzlich im Moskau der Gegenwart wieder. Genauer in der Nervenklinik des fragwürdigen Professors Kanaschnikow. Ja, Kanaschnikow. Unserem vermeintlichen Dichter wird eine astreine Pseudopersönlichkeitsstörung zugeschrieben. Bei heilästhetischen Praktika und absurden Gruppengesprächen lernen wir einige sogenannte 'neue Russen' kennen. Menschen wie den jungen Maria, dessen phallische Fantasien unter anderem eng mit Arnold Schwarzenegger verknüpft sind.
Wo führt das alles hin? Buddhas kleiner Finger ist kein einfaches Hin und Her zwischen zwei absurd-fantastischen Schauplätzen und kein schlichtes Sittengemälde einer Nation, deren kulturelles Gedächtnis schon seit vielen Jahrzehnten empfindlich angeschlagen ist. Weder spinnt Pelewin ausschließlich, noch spiegelt er nüchtern. Die Stärke dieses Romans liegt in seiner literarischen Tiefe, einer unwahrscheinlichen Komik und der bittersüßen Tragik jeder Figur. Mit voller Inbrunst kann man Hellmuth Karasek zitieren, wenn dieser anmerkt, dass es Kapitel gebe, die 'zum Grandiosesten gehören' was er seit langer Zeit gelesen habe.
und nun die werbung:
01 September 2011
buch: Viktor Pelewin / Buddhas kleiner Finger
labels:
lit.fiktional
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