20 September 2012

einwurf #37

charlie chaplin as hitlerdas ist unser einwurf #37
heute: nachzittern und vorglühen.

'Unschuld der Muslime' ist ein mutmaßlich us-amerikanischer Spielfilm von Nakoula Basseley Nakoula aus dem Jahr 2011. Das von religiösen und politischen Extremisten unterstützte und als antiislamischer Propagandafilm konzipierte Werk ist an die historische Figur des Mohammed ibn 'Abd Allah ibn 'Abd al-Muttalib ibn Haschim ibn 'Abd Manaf al-Quraschi (570–632) angelehnt, entspricht jedoch nicht den überlieferten Quellen.

Dieser einleitende Absatz ist eine abgewandelte Fassung des Wikipedia-Artikels über den nationalsozialistischen Propagandafilm 'Jud Süß' - eine recht gewagte Abwandlung, denn zwischen der Premiere des Harlan'schen Films 1940 und dem Ende des zweiten Weltkriegs im Jahre 1945 stehen Verbrechen, die mich, um es mit den Worten Adornos zu sagen, nachzittern lassen.

Das Nakoula alias Sam Bacile und seine Unterstützer keinen Vernichtungskrieg führen können, keine Vernichtungslager einrichten dürfen ist sehr gut, denn es ist durchaus anzunehmen, dass sich beides wunderbar mit ihrem Weltbild vereinbaren ließe. Schon die Tatsache, dass Nakoula sich als 56-jähriger, jüdischer Schriftsteller ausgab und behauptete 'Innocence of Muslims' mithilfe jüdischer Geldgeber finanziert zu haben, ist grotesk. Schnell stellte sich dies alles als Lüge heraus, aber die Saat war längst gesäät.

Muslime, Juden und Neger - alles Satire
Vielerorts glauben immernoch Menschen die Mär vom amerikanisch-zionistischen Hassfilm und es ist durchaus anzunehmen, dass Nakoula nichts anderes erreichen wollte. Das religiöse Extremisten, die sich selbst dem christlichen Glauben zuordnen und diesen damit ebenso wenig repräsentieren, wie Ayman al-Zawahiri den Islam, hinter dem vielbesprochenen Film stecken, ist inzwischen sehr sicher. Sie tun sich nicht schwer damit Juden und Muslime gleichermaßen zu hassen - achja, und natürlich Barack Obama.

Die Ausschreitungen nach der Veröffentlichung der sogenannten 'Mohammed-Karikaturen' in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten im Jahre 2005 scheinen nur das Vorglühen der extremistischen Kräfte fast jeder Coleur gewesen zu sein. Doch nicht nur, dass wir heute eine schwerere Explosion der Gewalt erleben müssen, nein, auch ist der Film 'Unschuld der Muslime' keine Satire mehr. Es ist, wie eben mit dem einleitenden Absatz verdeutlicht, ein antiislamischer Propagandafilm.

Es ist schon absonderlich, dass gerade auf Spiegel Online ein Kommentar zu lesen ist, der das was die beiden Satire-Blätter 'Charlie Hebdo' und 'Titanic' aktuell machen, so vortrefflich entlarvt. Als 'Trittbrettfahrer der Meinungsfreiheit' tituliert Stefan Kuzmany die Redaktionen im Speziellen, und man mag annehmen viele andere Mitmenschen im Allgemeinen. Ein Beitrag von jener Sorte, die beim besagten Nachrichtenmagazin ein viel zu seltenes Vergnügen gewordenen sind. Ebenso wie Satire auf dem Niveau eines Charlie Chaplin, dessen Konterfei als der große Diktator (1940) das einzige satirische Stilelement dieses einwurfs bleiben soll.

Am Ende ein Fragezeichen
Im Angesicht dieses Umgangs der Menschen miteinander, muss ich recht oft an öffentlich ausgelebten Sadomasochismus denken und das bedrückt mich. Gut, mögen sie tun, wie sie wollen, aber ihre und meine Kinder schauen zu, werden sogar einbezogen und eben die Kinder sind es, denen ich nichts sehnlicher wünsche, als eine friedliche, liebevolle Umwelt. Daher meine Frage: könnten die Herrschaften endlich die Finger stillhalten? Es ist genug, genug, genug, genug, genug, ...

quellen und mehr
jud süß auf wikipedia [*]
stefan kuzmany auf spon [*]


29 Januar 2012

buch: Amir Hassan Cheheltan / Amerikaner töten in Teheran

cover amir hassan cheheltan amerikaner toeten in teheranAmir Hassan Cheheltan / Amerikaner töten in Teheran
aus dem Persischen von Susanne Baghestani und Kurt Scharf
EAN 9783406621604 / 189 Seiten
C.H.Beck (2011) / 18,95 Euro

Sowohl die Islamische Republik Iran als auch die Vereinigten Staaten von Amerika haben ein Imageproblem. Innenpolitisch gärt es und außenpolitisch stehen ihnen weite Teile der Welt unversöhnlich gegenüber. Zeichnete man einen Kreis und wollte beide Länder auf der Kreislinie einzeichnen, so dürften sie direkt benachbart sein. Sie sind sich so ähnlich, doch schon ein Perspektivwechsel macht deutlich, wie weit sie voneinander entfernt sind. Die politische Stoßrichtung geht beiderseits gegen einen, mehr oder weniger klar definierten Feind von außen, um vom inneren Unruhepol abzulenken. Soweit die einleitenden, persönlichen Worte.

Amir Hassan Cheheltan, geboren 1956, hat lange in beiden erwähnten Staaten gelebt. Heuer lebt er in Berlin, was jedoch weniger dem Zwang zum Exil, als mehr der Freiheit zur Wahl und einer durchaus unberechenbaren Situation in seiner Heimat geschuldet ist.

Amerikaner töten in Teheran ist ein Episodenroman. Die beschriebene Zeitspanne liegt zwischen 1924 und 1988 und ist damit von Traumata und Wirrnis geprägt. Die prägende Frage der miteinander verwobenen Geschichten stellt der Großneffe des 1924 zu Tode geprügelten US-Vizekonsuls Robert Imbrie: 'Wieso werden in Iran immer Amerikaner erschossen?' Amir Hassan Cheheltan mag in den sechs Episoden keine konkrete Antwort auf diese und viele andere Fragen von Protagonisten und Leser geben, jedoch ist es schon die Fragestellung, die uns zum Nachdenken, statt zum Polemisieren führt.

Am Beispiel der Familie Huschmand wird die absurde Situation vieler Iraner vor und nach der Revolution deutlich. Resa, ein unbedarfter junger Mann, wird von einer linksextremen Bewegung rekrutiert und mausert sich zum Bombenleger. Er will die imperialistische Gefahr durch die USA mit Gewalt abwenden. Seine Schwester Mina hingegen verliert sich in den Augen eines Amerikaners und stirbt konsequenterweise - bei einem Bombenanschlag einer der vielen Terrorzellen jener Zeit. Der Vater ist längst tot, so bleibt eine Mutter die spätestens dann alles, inklusive ihres Verstandes, verliert, als ihr Sohn nach der Revolution erneut abgeführt wird: er wird zum Verräter und subversiven Element.

Wir durchwandern in Cheheltans großartigem Buch auch die Querelen der 'Operation Ajax', in deren Rahmen die CIA einen Staatsstreich inszeniert hat. So entlarvende Seiten findet man selten in zeitgenössischer Literatur und nach und nach ergibts sich ein klares Bild. Amerikaner töten in Teheran gleicht einem Puzzlespiel, denn jede Episode komplettiert das Ganze und so entsteht ein facettenreiches Gesamtbild, dass eindringlich ist und begeistert.

und nun die werbung: