THE VIGILANT CITIZEN
web. vigilantcitizen.com
founder. ask vigilant
since. 2008
location. kanada
'Glaubt mir das! Später werde ich die Weltherrschaft an mich reißen.', rief er uns von der Bühne zu, schnappte sich sein Abschlusszeugnis, stürmte aus der Aula und ward nicht mehr gesehen. Das ist knappe acht Jahre her. Gestern war er wieder da und hat mir die Welt erklärt. Ich saß vor einem der unzähligen Cafés im Univiertel und verdaute gerade die letzten Seiten des Buches 'Radikal' von Jon Ronson, als er sich vor mir in einen Stuhl fallen ließ. Er sah ein bisschen aus wie John Lennon in den frühen Siebziger, kniff die Augen zusammen, als hätte er starke Schmerzen und seine auffällig langen Fingernägel fielen mir gleich auf. Mit diesen tippte er nämlich gut hörbar auf den nunmehr zwischen uns auf dem Tisch liegenden Einband, legte die Stirn in Falten und fragte mich unumwunden, ob ich wüsste, dass Ronson auch einer von denen sei. Von denen! Ohne eine Antwort abzuwarten legte er los: Illuminaten, shapeshiftende Reptilienmenschen, MK ULTRA, Bilderberger, Freimaurer, Propaganda Due, Bohemian Grove und Jay-Z.
Alles mischte sich, alles verschwamm. Kein Räuspern, kein eingeworfenes Wort, keine Geste konnte ihn stoppen. Überwältigt von dieser fast inszeniert wirkenden Begegnung und dem sich mir bietenden Schauspiel bekam ich auch noch einen nervösen Schluckauf, den ich minutenlang zu unterdrücken versuchte. 'Jay-Z??' Meine Nachfrage muss refluxbedingt unfreiwillig hysterisch oder alarmierend geklungen haben. Jedenfalls war die Brandrede plötzlich unterbrochen. Er senkte den Kopf, stieß mich unter dem Tisch an und versuchte mir bemüht unauffällig einen Zettel zu reichen. Ich spielte mit, tat geheimnisvoll und ließ den Zettel gleich unter einer Serviette verschwinden. Ohne ein weiteres Wort zu sagen stand er auf und ging. So saß ich noch einen Augenblick da, wartete auf eine überraschende Erklärung für diese surreale Begegnung und warf dann endlich einen Blick auf das ominöse Stück Papier. Eine mehrmals gefaltete Seite einer Bedienungsanleitung für eine Wetterstation also, und auf ihr hatte er nur eine Internetadresse notiert. Ich zahlte und machte mich auf den Heimweg. Erst später am Abend schnappte ich mir den Laptop, setzte mich auf den Balkon und las mich in die Seite, die er mir da offenbart hatte, ein.
The Vigilant Citizen ist das Netzprojekt eines im Osten Kanadas lebenden Mitzwanzigers mit libanesischen Wurzeln. Das Konfuzius zugeschriebene Zitat 'Signs and Symbols rule the World, not Words nor Laws.' steht über allem. Sein Weltbild fußt offensichtlich auf einer sogenannten Zentralsteuerungshypothese, was bedeutet, dass er davon ausgeht, dass irgendwie, irgendwo im Verborgenen eine fast schon übermenschliche Elite die Geschicke der Welt lenkt.
Auf vigilantcitizen.com geht es dem Autor sowohl darum das angenommene 'wie', als auch das 'wer' zu analysieren bzw. zu identifizieren. Es finden sich durchaus spannende Beiträge zu okkulter Symbolik in Massenmedien und Popkultur, zu vermeintlich versteckten Botschaften in Architektur und Stadtplanung, sowie zur Steuerung des Unterbewussten durch gezielte Gedankenkontrolle. Und genau da finde ich auch Jay-Z wieder, dessen Musikvideo zu 'On To The Next One' mit viel Akribie als okkultes Machwerk entlarvt wird. So demonstrieren Künstler dann wohl ihre Zugehörigkeit zum elitären Zirkel. Vieles wirft Fragen auf, manchmal führt das zu langen eigenen Recherchen, wie der spannende Artikel zum Denver Airport - tatsächlich ein unwahrscheinlich unheimlicher Ort, wenn man ihn mit offenen Augen durchschreitet.
Mit Sicherheit eine abgedrehte Website. Mit gesunder Distanz und kritischem Denken jedoch ein virtuelles Erlebnis für sich. Fest steht jedenfalls, dass diese Seite ums vielfache spannender und lesenswerter ist als jeder der trivialen Romane von Dan Brown. Nur wenn man nicht aufpasst irrt man irgendwann eben als eine, die ultimative Wahrheit predigende John Lennon-Kopie durch sonnige Großstädte und vergisst, dass Obsession und Wahrheit nicht zusammen funktionieren.