29 Januar 2012

buch: Amir Hassan Cheheltan / Amerikaner töten in Teheran

cover amir hassan cheheltan amerikaner toeten in teheranAmir Hassan Cheheltan / Amerikaner töten in Teheran
aus dem Persischen von Susanne Baghestani und Kurt Scharf
EAN 9783406621604 / 189 Seiten
C.H.Beck (2011) / 18,95 Euro

Sowohl die Islamische Republik Iran als auch die Vereinigten Staaten von Amerika haben ein Imageproblem. Innenpolitisch gärt es und außenpolitisch stehen ihnen weite Teile der Welt unversöhnlich gegenüber. Zeichnete man einen Kreis und wollte beide Länder auf der Kreislinie einzeichnen, so dürften sie direkt benachbart sein. Sie sind sich so ähnlich, doch schon ein Perspektivwechsel macht deutlich, wie weit sie voneinander entfernt sind. Die politische Stoßrichtung geht beiderseits gegen einen, mehr oder weniger klar definierten Feind von außen, um vom inneren Unruhepol abzulenken. Soweit die einleitenden, persönlichen Worte.

Amir Hassan Cheheltan, geboren 1956, hat lange in beiden erwähnten Staaten gelebt. Heuer lebt er in Berlin, was jedoch weniger dem Zwang zum Exil, als mehr der Freiheit zur Wahl und einer durchaus unberechenbaren Situation in seiner Heimat geschuldet ist.

Amerikaner töten in Teheran ist ein Episodenroman. Die beschriebene Zeitspanne liegt zwischen 1924 und 1988 und ist damit von Traumata und Wirrnis geprägt. Die prägende Frage der miteinander verwobenen Geschichten stellt der Großneffe des 1924 zu Tode geprügelten US-Vizekonsuls Robert Imbrie: 'Wieso werden in Iran immer Amerikaner erschossen?' Amir Hassan Cheheltan mag in den sechs Episoden keine konkrete Antwort auf diese und viele andere Fragen von Protagonisten und Leser geben, jedoch ist es schon die Fragestellung, die uns zum Nachdenken, statt zum Polemisieren führt.

Am Beispiel der Familie Huschmand wird die absurde Situation vieler Iraner vor und nach der Revolution deutlich. Resa, ein unbedarfter junger Mann, wird von einer linksextremen Bewegung rekrutiert und mausert sich zum Bombenleger. Er will die imperialistische Gefahr durch die USA mit Gewalt abwenden. Seine Schwester Mina hingegen verliert sich in den Augen eines Amerikaners und stirbt konsequenterweise - bei einem Bombenanschlag einer der vielen Terrorzellen jener Zeit. Der Vater ist längst tot, so bleibt eine Mutter die spätestens dann alles, inklusive ihres Verstandes, verliert, als ihr Sohn nach der Revolution erneut abgeführt wird: er wird zum Verräter und subversiven Element.

Wir durchwandern in Cheheltans großartigem Buch auch die Querelen der 'Operation Ajax', in deren Rahmen die CIA einen Staatsstreich inszeniert hat. So entlarvende Seiten findet man selten in zeitgenössischer Literatur und nach und nach ergibts sich ein klares Bild. Amerikaner töten in Teheran gleicht einem Puzzlespiel, denn jede Episode komplettiert das Ganze und so entsteht ein facettenreiches Gesamtbild, dass eindringlich ist und begeistert.

und nun die werbung:

22 Dezember 2011

einwurf #35

logorama screenshotdas ist unser einwurf #35
heute: jahresabschluss.

Das kann es ja nicht sein. So still soll dieses Jahr nicht beschlossen werden. Stehen wir auf und schreien einfach mal lauthals los - aber bitte einsilbig. Das soll sehr hilfreich sein und es baut unwahrscheinlich viel Stress ab. Man könnte dem Schrei also eine Ventilwirkung zuschreiben. Vermutlich wird er auch überhaupt nicht gehört werden und damit niemanden stören, weil alle erkältet, komplett verschuldet, zu spät dran mit den Geschenken und dauerbesoffen vom Glühwein sind. Kollektiv wird dazu das Ausbleiben von Schnee, Eis, Glätte und Streumittelmangel so sehr verachtet, dass sowieso alle menschlichen Verfehlungen unumwunden hingenommen werden.

Der Jahresabschluss also. Lange blieben hier die Zeilen ungeschrieben, weil die Gedanken nicht ausgegoren oder der Autor zu erschöpft war. Eine gute Erschöpfung zumeist, für die dankbar zu sein, nicht schwer fällt. Unbekannterweise und allerseits Danke, an dieser Stelle. Weiteres wird internen Depeschen entnehmen zu sein. Transparenz ist eine Mode, die der gewiefte Zeitgeist heuer meidet.

Ein audiovisueller Genuss soll die geneigte Leserschaft auf den letzten Atemzügen, bis zur von Schwefelqualm geschwängerten Silvesternacht, begleiten. Es handelt sich um den kurzen Film 'Logorama', dessen Idee und Realisation auf das Konto von Francois Alaux, Hervé de Crécy und Ludovic Houplain gehen.

Exzellent zeigt dieser wunderbar gemachte Film unter anderem auch, dass es nicht nur Töne sind, die eine Rolle zu spielen haben, wenn wir uns über Lärm unterhalten. Weitaus mehr könnte dazu geschrieben werden, denn dies war die eigentliche Assoziation des Autors zwischen Video und einleitenden Worten: Zu viel des Guten, ist nicht mehr gut oder: auch Logos machen Lärm. Allerlei Phrasen und zu diesen greift man insbesondere dann, wenn man müde ist. Das darf man nach diesem Jahr auch sein und so wird ein gute Zeit gewünscht, tatsächlich darum gebeten, sich allerseits verstärkt für Frieden, Verständigung und Geschwisterlichkeit einzusetzen und einmal laut geschrieen. Auf bald!

18 Oktober 2011

film: Apparat - The Devil's Walk

Apparat The Devils WalkAPPARAT
THE DEVIL'S WALK
agile films (uk / 2011)
director: Luke Bellis
editor: Rob Simpkins
dop: Emma Dalesman
executive producer: John Moule

Es sollen ein paar Worte über den Musiker 'Apparat' geschrieben werden - mit bürgerlichem Namen Sascha Ring, zumeist sesshaft in Berlin, mit seiner Veröffentlichung 'DJ-Kicks' im vergangenen Jahr unter den absoluten Favoriten des Autors und am 23. September 2011 erschien das neue Album 'The Devil´s Walk'.

Als Vorgeschmack auf die Musik derer wir seit wenigen Tagen habhaft werden können, ist ein Film zu bestaunen. Kein Clip, keiner dieser zahllosen Teaser in denen geschmacklose Kunst für geschmacklose Zeitgenossen angepriesen wird. Hier handelt es sich um einen ästhetischen Beitrag zur Abendgestaltung. Bitte zurücklehnen, schauen und vor allem natürlich lauschen.

Doch es soll nicht nur dem Genuss gedient sein. Informationen sollen sein - in kurzen Interviewfetzen erklärt Sascha Ring natürlich das durchaus symbolträchtige Artwork des Covers, weshalb unter anderem die Romantik, sowie der Dichter Percy Bysshe Shelley für den Titel des Albums verantwortlich zeichnen dürfen, was ihn mit Mexiko verbindet und weshalb es diesmal ein also Band-Album wurde.

Letztlich kann man über den unten stehenden Verweis an das Werk gelangen. Das hat allerelei Vorteile, ist jedoch nur ein Weg von vielen. Ein anderer der anempfohlen sei, ist der Gang ins Plattengeschäft. Unbedingt sollte der einzuschlagenden Weg über einen Kaufvertrag führen. Honorieren wir diese großartige Arbeit!



medientipps:

10 Oktober 2011

film: We Are Visual / 20357

2035720357

we are visual (ger / 2011)
concept: Brent Dahl, Marc Einsiedel, ...
camera: Sebotage
skater: Michi v. Fintel, Nizan Kasper, ...

In direkter Nachbarschaft der russisch-orthodoxen Kirche des heiligen Johannes v. Kronstadt in Hamburg befindet sich seit 2009 das schöne 3D Graffiti '20357'. Aus der Vogelperspektive betrachtet, kann man im Werk von Heiko Zahlmann die Postleitzahl des Bezirks rund um das Karoviertel erkennen. Diese Form der Wiederbelebung des dortigen Platzes brachte jedoch nicht nur Milchschaum, Rotwein und dazugehöriges Klientel mit sich, sondern lud richtigerweise jeden ein. Eben auch Skater. Das Keinbürgertum mag Kunst ertragen, jedoch waren Skater dann doch zu viel des Guten und der Bezirk Mitte, welcher denn auch sonst, entschied sich mit gußeisernen 'Skatestoppern' dem 'Problem' Herr zu werden. Ohne Absprache des Künstlers, der wiederum erfolgreich protestierte. Die Stopper verschwanden. Das Kunstwerk wurde wieder hergestellt, aber der Boden um '20357' ist nun geriffelt. Einen besseren 'Skatestopper' gibt es nicht.

Im folgenden Video dokumentieren die Herrschaften des großartigen Künstlerkollektivs 'we are visual' kurz .wav, wie man Abhilfe schaffen kann. Man nehme mobile Rampen, lege sie über den unbefahrbaren Boden, fixiere sie mit Schrauben und nutze das Skateboard. Seht selbst und verpasst nicht zu sehen, wie sich innert kürzester Zeit Besuch anmeldet. Unerwünschter Besuch.

Übrigens, es ist wahr, dass dieses Geklicker und Geklacker von Skateboards nervtötend sein kann und es ist richtig, dass Menschen die sich freuen durchaus auch lauter werden. Das ansässige Kleinbürgertum wollte keine mehrspurigen Straßen vor der Haustür mehr. Die gibt es inzwischen nicht mehr.

Häufig will dieses Klientel auch keine Kindergärten in der Nachbarschaft, keine Obdachlosen unter Brücken und eben auch keine Skater in Hörweite. Vielleicht sollte man ... ja. Wir sollten wirklich!