Rafael Horzon / Das weisse Buch
mit zahlreichen Fotografien
EAN 9783518462263 / 218 Seiten
Suhrkamp Nova (2010) / 15,- Euro
Das weisse Buch ist unfasslich. Unfasslich komisch. Unfasslich klug.
Hätte ich eine Rangliste der Bücher, die man 2010 gelesen haben muss, dann wäre dieses Buch absolut on top. Habe ich aber nicht, weil man in meinen Augen nichts lesen muss. Man muss gar nichts, außer den eigenen Wünschen folgen und fest daran glauben, sie zum richtigen Zeitpunkt realisieren zu können. So funktioniert Glück und irgendwie handelt davon auch Rafael Horzons weisses Buch. Da wurden Unternehmerbiografie, Roman und eine Anleitung zum Leben zwischen zwei strahlend weiße Buchdeckel geschafft - ein rundum fundamentales Werk, dass übrigens auch ein haptisches Erlebnis ist.
Doch steigen wir in den Inhalt ein. Rafael Horzon studierte im Laufe seines Lebens Philosophie bei Jacques Derrida, Latein und Physik, um jedes Studium dann und wann erfolgreich abzubrechen. Zwischendurch fotografiert er mit seiner kleinen Leica Brücken, plant ein tausend Seiten starkes Kompendium des Wissens und landet bei der Hellseherin Signora Sarasate. Allein die mephistophelische Wiederkehr jener vermeintlichen Dame bis zum Ende des Buches birgt literarische Qualitäten, die Wertungen auf popliterarischer Metaebene zur Beleidigung werden lassen.
Abgebrochene Studien also, die jedoch nicht in Verdruss, sondern visionärem Handeln münden. Die legendäre Wissenschaftsakademie Berlin wird gegründet und zur Finanzierung dieses Projekts muss Geld verdient werden. Sehr viel Geld. Die Anti - Gallerie berlintokyo wird gegründet, der Kunstbetrieb genarrt und als sich überwältigender Erfolg einstellt flüchtet Horzon Hals über Kopf. Mit Moebel Horzon legt er den Grundstein für das heutige Unternehmensimperium modocom [*] und schickt sich an, mit dem perfekten Buchregal einen großen schwedischen Möbeltycoon vom Markt zu drängen. Es folgen der Nachtclub Pelham, das Modelabel Gelée Royale, Redesigndeutschland, und, und, und. Einige Unternehmen liefen grandios, andere scheiterten ebenso.
Da soll die Neugestaltung der ganzen Welt forciert werden und zwar am Beispiel von Deutschland. Das Dezimalsystem kommt: 1 Tag soll 100 Stunden haben, 1 Stunde nun 100 Minuten und so weiter. Deutsch wird durch rededeutsch ersetzt, die Häuser werden einheitlich, schlicht und ergreifend verschalt. 'Einfachst loesung sein gutst loesung' - so solle das Bauhaus wie eine Hüttenburg von Träumern dastehen. Man darf gespannt bleiben, was aus dieser bahnbrechenden Idee noch wird. Vielleicht kommt ja die neue Weltordnung aus der Torstraße 94 in Berlin.
Wer wäre nicht gerne ein wenig wie Rafael Horzon? Keine Furcht vor dem Scheitern, weil man das gute Recht dazu hat und nebenbei eben auch den nötigen Erfolg zum weitermachen. Selbst dann, wenn der Autor mit Christian Kracht, Mitte August am Strand von Swinousjcie steht. Gekleidet in Thermohosen und doppelwandigen Daunen-Parkas auf der Suche nach dem polnisch-deutschen Grenzübergang, will man dabei sein. Man will Regale bauen und an DJ Koze verkaufen, man will neue Modelle der Kopfkrawatte entwerfen und den Kreiseltanz in deutschen Nachtclubs etablieren. Man will das weisse Buch erleben. Dieses höchst kluge und zwingend komische Kuriositätenkabinett.
Beenden wir diese Lobeshymne mit einer klaren Anweisung in rededeutsch: 'einfachst ist gutst loesung' - also kauft dieses Buch, lest es und feiert es.
und nun die werbung:
29 Oktober 2010
buch: Rafael Horzon / Das weisse Buch
labels:
lit.fiktional,
lit.nonfiktional
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